Mobirise

7. Die Entwicklungslinien

In diesem Text beschäftigen wir uns mit dem dritten Teil von AQAL - den Entwicklungslinien.

Wie wir in den Teilen 2 bis 6 dargelegt haben, entwickelt sich das menschliche Bewusstsein stufenförmig durch verschiedene Ebenen (Farbkreise) und besitzt vier Dimensionen (4 Quadranten).

Die Entwicklung ist aber nicht ein homogener Prozess. Die verschiedenen Teile unseres Selbst entwickeln sich mehr oder weniger unabhängig voneinander. Diese Teile nennen wir Entwicklungslinien. Anschaulich können Entwicklungslinien als eine bestimmte Frage zu unserem Wesen betrachtet werden, z.B. wer bin ich? Oder was brauche ich? Jede dieser Linien durchläuft alle bereits beschriebenen Bewusstseinsstufen (von Rot, Bernstein, Orange, Grün und darüber hinaus) und ist einem Quadranten zugeordnet. Sie liefern also stufenabhängige Antworten zu diesen Fragen.

Bekannt ist zum Beispiel die kognitive Entwicklung, welche von Jean Piaget beschrieben wurde. Sie beschreibt Antworten auf die Frage: Was kann ich erkennen? Auch die moralische Entwicklung, welche von Lawrence Kohlberg beschrieben wurde, entspricht einer Entwicklungslinie. Sie gibt Antwort auf die Frage: Was ist wichtig? Abraham Maslow hat sich intensiv mit den Bedürfnissen auseinandergesetzt und so seine Maslowsche Bedürfnispyramide definiert. Auch sie bildet eine eigene Entwicklungslinie und beantwortet die Frage: Was brauche ich?

Diese Drei sind jedoch nur drei bekannte Beispiele. Daneben gibt es noch viele andere Entwicklungslinien, welche das menschliche Dasein beschreiben. So die Weltsicht, die Selbstidentität, die Emotionalität, die Beziehungen, die Funktion in der Welt, die Sozialstrukturen, der Körper, die Liebe und die Angst, um die wichtigsten zu nennen.

Somit können wir festhalten:
Entwicklungslinien beschreiben Teile unseres Selbst.
Sie durchlaufen die bereits beschriebenen Entwicklungsstufen
Die Entwicklungslinien sind in der Geschwindigkeit, in der sie eine Stufe durchschreiten, grösstenteils unabhängig voneinander.

Der letzte Punkt ist für das Arbeiten mit Kindern und Jugendlichen von essentieller Bedeutung. Denn er sagt explizit, dass ein Individuum sich nicht nur auf einer Entwicklungsstufe befinden kann.

Jeder Mensch hat einen Entwicklungsschwerpunkt, der durch den Durchschnitt der Stufen verschiedenen Entwicklungslinien gegeben ist. Dabei können gewisse Entwicklungsbereiche (Entwicklungslinien) schon viel weiter oder noch nicht so weit entwickelt sein wie andere.

Ich denke dieses Phänomen ist allen Lehrpersonen bekannt:
Wir haben einen Schüler, welcher im kognitiven Bereich extrem stark ist, seine Emotionalität jedoch einem jüngeren Kind entspricht.

Oder:
Eine Schülerin, die sehr hohe Wertvorstellungen besitzt und auch im zwischenmenschlichen Bereich sehr stark ist, aber im Sport zwei linke Füsse und Hände hat. Sie wirft und fängt den Ball wie ein Kind aus einem viel jüngeren Jahrgang.

Wir erklären dies oft mit individuell ausgeprägten Stärken und Schwächen, die im Wesen des Kindes angelegt sind. Da ist im Kern sicher meistens auch etwas Wahres dran (True but partial), aber ein grosser Teil davon sind die unterschiedlich weit entwickelten Entwicklungslinien, die weniger mit Anlagen, sondern individueller Entwicklung zu tun haben. Denn es gibt Faktoren, die die Entwicklung einer Linie verhindern, z.B. traumatische Erlebnisse in der frühen Kindheit (dazu mehr in einem der nächsten Texte zum Thema Schatten).

Wenn wir mit diesem Verständnis den Schüler/oder die Schülerin betrachten, erhalten Stärken und Schwächen plötzlich ein anderes Gewicht bzw. verlieren dieses. Wenn eine Stärke oder eine Schwäche eine Anlage ist, wird sich daran nur bedingt etwas ändern lassen, auch wenn ich mich als Lehrperson noch so bemühe. Ich kann ja die Augenfarbe meiner SchülerInnen auch nicht ändern. Also bleibt mir nur, den Schüler so zu nehmen, wie er ist.
Durch das neue Verständnis, werden wir als Lehrpersonen jedoch in die Pflicht genommen, genauer hinzuschauen. Wir müssen uns immer die Frage stellen: Habe ich es hier mit einer Stärke/Schwäche zu tun oder ist das, was ich sehe, die Folge einer Entwicklungsstörung?

Wenn du als Lehrperson fähig bist diese Unterschiede zu erkennen, wirst du deinen Teil für eine wahrhaftig ganzheitliche Bildung beitragen können, der es daran gelegen ist, rundum gesunde Kinder und Jugendliche zu erziehen. Denn je mehr Diskrepanz zwischen den Entwicklungslinien besteht, desto mehr Spannung entsteht im Individuum. Spannung führt zu Stress und Stress zu unglücklichen und ungesunden Kindern und Jugendlichen (und Erwachsenen - das gilt auch für dich!)

Mit diesem neuen Wissen kannst du lernen, adäquater zu erkennen, ob etwas eine Schwäche ist, oder eventuell eine Stärke sein könnte, das Kind aber aus irgendeinem Grund diesen Teil seines Selbst nicht mehr lebt.

Bevor wir jedoch dazukommen, wie wir mit diesem Umstand umgehen können, müssen wir erst noch verstehen, wie solche Diskrepanzen entstehen… Darauf werden wir im folgenden Text eingehen.

Herzlichst,
Nicole


Mehr Dazu:

Kurzes Video zu den Entwicklungslinien


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