Mobirise

Kinder sind nicht das Problem - Nie!

Nicole Grossen, 20. März 2022

Seit nun gut sechs Jahren stelle ich mich bewusst meinen Schatten. Das sind die unbewussten Anteile meines Selbst, die ich im Laufe meiner Entwicklung aus verschiedensten Gründen unterdrückt habe. Ich hole sie ans Licht, schaue sie bewusst an und durchlebe den Schmerz und die Wut, die ich zu jener Zeit nicht ausgedrückt habe, nochmals bewusst, um sie so wieder integrieren zu können.

Ich nenne das Bewusstseinsarbeit. Ich mache mir meine unbewussten Teile wieder bewusst. Jedes Mal, wenn ich etwas integriert habe, erkenne ich einen neuen Teil von mir, den ich früher verleugnet habe.

Wenn ich mich meinen Schatten stelle, nehme ich mir meine Umwelt zu Hilfe. Ich weiss, dass ich meine unbewussten Teile auf die Welt und auf meine Mitmenschen projiziere. Ich weiss, dass meine Umwelt mich manchmal bewusst und sehr oft auch unbewusst spiegelt. Nur aufgrund dieser Tools ist es mir überhaupt möglich, meine tiefsten und verborgensten Schattenanteile zu erkennen. Alleine wird mir das nie möglich sein.

Dieses zu Hilfe nehmen ist unter Erwachsenen in der Bewusstseinsarbeit selbstverständlich.

Aber wie sieht es im Bezug auf Kinder und Jugendliche aus? Welches Verhältnis haben wir im Hinblick auf unsere persönliche Bewusstseinsarbeit zu Kindern und Jugendlichen?

Wir erkennen nicht, dass wir so vieles auf sie projizieren. Wir erkennen nicht, dass sie als schwächstes Glied in der Kette so oft nur der Spiegel einer Situation sind.

Dieses Beispiel aus meinem privaten Alltag verdeutlicht dies gut. Steht jedoch nur stellvertretend für alle Situationen, in welchen wir mit und um Kinder und Jugendliche sind: Vor nicht allzu langer Zeit waren zwei meiner Mitbewohner in den Ferien. So blieb “nur” meine kleine Familie im Haus übrig. Mein Mann, meine Tochter und ich. Meine Tochter, sie ist acht Jahre alt, fragte mich täglich, wann die Mitbewohner wieder heimkommen würden. Die Frage war ganz klar so zu verstehen, dass dieser Tag noch weit in der Zukunft sein sollte. Sie war in dieser Woche sehr entspannt. Ich sah meine Tochter und fing an daran zu zweifeln, ob es für sie gut ist, in einer WG zu wohnen. Ich machte mir Sorgen, ob es zu viel für sie wäre.
Als meine Mitbewohner wieder zu Hause waren, erzählte ich von meinen Beobachtungen. Meine Mitbewohnerin sagte dazu nur: “Da hat sie etwas von dir aufgeschnappt”. Plötzlich fiel es wie Schuppen von meinen Augen: Ich bin es, die nicht wollte, dass sie wieder nach Hause kommen. Ich bin es, der es in letzter Zeit zu viel war. Ich bin es, die im Kern einen Teil zu spüren begann, der auch gerne alleine als kleine Familie wohnen möchte. Ich war es, die in dieser Woche viel entspannter war, was natürlich Auswirkungen auf meine Tochter hatte.

Das ist nur ein kleines Beispiel von all den hunderttausend Projektionen, die Kinder und Jugendlichen von uns übergestülpt kriegen und all der Spiegel, die Kinder und Jugendliche uns vorhalten und die wir nicht erkennen!

Und das ist noch ein recht harmloses Beispiel. Ich denke dabei auch an Situationen, wo Kindern und Jugendlichen ein mutwillig böses Verhalten unterstellt wird. Oder die Projektion von Menschen, die sexuell übergriffig werden und sagen, dass das Kind oder der Jugendliche sie aufgefordert oder animiert hat.

Dabei handelt es sich immer um die Projektionen der Erwachsenen!

Das Kind oder der Jugendliche ist nicht das Problem!

Fairerweise muss ich hier anfügen, dass es auch fast nicht möglich ist, Projektionen auf Kinder und Jugendliche zu erkennen. Zum einen sind gewisse Projektionen so stark in der Gesellschaft verankert, dass du eigentlich keine Chance hast, ihnen auf die Schliche zu kommen. Zum anderen setzt Bewusstseinsarbeit mit Einbezug von Kindern und Jugendlichen nochmals eine höhere Kompromisslosigkeit voraus, die seinesgleichen sucht. Denn viel zu schnell suchen wir das Problem im Kind oder dem Jugendlichen. Viel zu schnell schnappen wir uns die Kinder oder die Jugendlichen, um nicht bei uns hinsehen zu müssen. Denn es ist immer viel einfacher, das Problem im Gegenüber zu suchen und nicht bei sich selbst. Wunderbar, wenn das Gegenüber ein hilfloses, auf unseren Schutz und Liebe angewiesenes Geschöpf ist!

In jedem Moment, in dem du das Problem im Kind oder Jugendlichen suchst, missbrauchst du es.

Kinder und Jugendliche sind nicht das Problem!

NIE!

Wenn du diese Aussagen ganz sinken lässt... Wenn du diese Aussagen ganz annimmst, ändert sich so einiges auf einen Schlag.

Du erkennst den Schmerz, den du mit deinem Verhalten den Kindern und Jugendlichen zufügst. Du erkennst aber auch den Schmerz, der dir in deinen jungen Jahren durch solches Verhalten zugefügt wurde.

Du wirst demütig und ich hoffe du wirst erkennen, wie wichtig es ist, diesem Kreislauf ein Ende zu setzen.

Dies ist eine grosse Herausforderung, die viele Kämpfe hervorbringen wird. Wenn du dich auf diesen Weg machst, wirst du mit vielem konfrontiert werden, das du nicht willst. Es wird schmerzhaft und anstrengend, du wirst aufgeben wollen, du wirst wütend werden, und du wirst auch irgendwann nicht mehr wissen, wo oben und unten ist.

Ich hoffe trotzdem, du hast den Mut, aufzubrechen. Den Mut, dich auf den Weg zu machen, den Schmerz, den wir den Kindern und Jugendlichen tagtäglich unbewusst zufügen, nicht mehr zu verursachen.

Auf dem Weg wirst du erkennen, dass Erziehung viel mehr mit Intuition zu tun hat als mit dem Befolgen starrer Regeln und Konzepte.

Nur eine Erziehung, die aus deiner tiefsten Wahrheit kommt, ist eine gesunde Erziehung. Dein integriertes Selbst besitzt die Weisheit in jeder Situation das Richtige zu tun oder eben mal nichts zu tun.

Denn zu tun gibt es zuerst vor allem etwas bei Dir!

Hat dieser Text Fragen oder Anregungen ausgelöst? Wir freuen uns über deine Kontaktaufnahme!

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